Kat Frankie - Bad Behaviour

Kat Frankie - Bad Behaviour

Sie mag es „messy“, sagt Kat Frankie: unaufgeräumt, wimmelnd, überbordend und reich; und so verschwenderisch vielfältig klingt auch ihre Musik. Keine Frage, Kat Frankie schreibt die kunstvollsten Songs, die man im hiesigen Pop derzeit findet: rhythmisch komplex wie der komplizierteste R’n’B, mit himmlisch vertrackten Gesangsharmonien wie aus den ältesten Schulen des Doo Wop und Folk. Doch wirkt das alles – und das ist vielleicht das Tollste daran – niemals überladen oder konstruiert. Denn Kat Frankie singt auch die schönsten und unmittelbar eingängigsten Melodien, die man sich wünschen kann; und sie singt das alles mit einer Stimme, die so klar und zugleich aufregend rätselhaft ist, so beeindruckend reif und zugleich lockend keck, dass sie einem schon nach der ersten Strophe nicht mehr aus dem Kopf gehen will.

Kat Frankie kommt aus Sydney, und sie singt, seit sie ein kleines Kind ist; ihre ersten Kompositionen waren gesungene Briefe, die sie auf Cassette aufnahm und an ihre Großmutter schickte.

Als Teenager sang sie am liebsten R’n’B-Stücke nach: „Boyz II Men waren für mich ein großes Vorbild“, sagt sie. Ihre Eltern hatten kein Geld, um ihr Musikunterricht zu bezahlen oder gar eine Gitarre oder ein Klavier. Alles, was sie hatte, waren zwei Tapedecks. Darum begann sie sich im Beatboxing zu üben: „So hab ich auf einer Cassette meinen Rhythmus gerappt; dann hab ich ihn abgespielt und drüber gesungen und das auf der zweiten Cassette aufgenommen.“ So hat sie im Grunde schon damals jene musikalische Technik entwickelt, die sie bis heute verfolgt; ihr Lieblingsinstrument ist die Loop Station, mit ihrer Hilfe singt sie mit sich selber im Chor oder spielt mit ihrer Gitarre ganz allein Duette.

Wobei die Gitarre erst spät in ihr Leben trat: „Ich war 17, als ich zum ersten Mal auf einer spielte“, und bis heute wirkt ihr Verhältnis zu diesem Instrument distanziert. Dabei verdankt sie ihm den Beginn ihrer künstlerischen Karriere. Während des Design-Studiums begann sie in Pubs aufzutreten, „ich spielte Gitarre und sang dazu Lieder, mal zornig, mal traurig, das totale Klischee“. Aber erfolgreich – 2004 kündigte sie ihren Job und zog nach Berlin: „Ich war ein großer Fan von den Chicks on Speed; in einem Interview hatten die gesagt, dass der Berlin der beste Ort zum Musikmachen auf der ganzen Welt ist, und ich hab ihnen das geglaubt.“

Als Kat Frankie in der deutschen Hauptstadt ankam, war dort gerade der so genannnte Antifolk das beliebteste Genre. Die Sängerin und Songwriterin Kitty Solaris nahm sie unter ihre Fittiche und brachte auch Kats Albumdebüt „Pocketknife“ (2007) auf ihrem eigenen Label heraus. „So rutschte ich damals in diese Szene hinein, obwohl das eigentlich gar nicht zu mir passte: Antifolk hatte ja immer sowas Putziges und Oberflächliches – ich wollte dagegen immer wahrhaftig sein und Songs mit großen Gefühlen schreiben.“ So wurden in den folgenden Jahren auch sehr ernsthafte Menschen zu ihren Vorbildern, PJ Harvey, Tom Waits und Rufus Wainwright.

Zwei weitere Platten brachte sie dann auf ihrem eigenen Zellephan Label heraus, „The Dance of a Stranger Heart“ (2010) und „Please Don’t Give Me What I Want“ (2012): Auch sie waren noch vom Tonfall des Songwriter-Pop geprägt, doch wurde ihre Musik immer reicher und vielgestaltiger – nicht zuletzt, weil Kat Frankie die Loopstation entdeckte und damit zu arbeiten begann. „Das ist so ein einfaches Instrument, aber man kann damit so viel machen! Ich fühlte mich einerseits in meine Kindheit zurückversetzt. Aber andererseits erschloss ich mir mit den Harmony Vocals, die ich mit mir selbst singen konnte, ganz neue Stile“; jenseits des Songwriter-Folk kehrte sie wieder zur Musik ihrer Jugend, zu R’nB’ und Soul, zurück, „und ich hab in dieser Zeit auch viel Gospel gehört und Doo Wop aus den 1940ern.“

Eines steht für Kat Frankie jedenfalls fest: „Ich wollte niemals nur das traurige Mädchen an der Gitarre sein.“

Das war sie schon wegen der zahlreichen Seitenprojekte nicht, die sie in den fünf Jahren nach ihrer letzten Soloplatte betrieb. So spielte sie die Gitarre in der Begleitband von Olli Schulz, komponierte mit Get Well Soon die Soundtrack für die Talkshow „Schulz und Böhmermann“ und trat 2016 in dem Duo Keøma beim Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an; im selben Jahr veredelte sie mit ihrer Stimme auch ein Stück des Erfurter Rappers Clueso, „Wenn du liebst“:

Die dunkelbunte Welt der Songwriter-Musik und die helle, manchmal grelle Welt des Mainstream Pop – für Kat Frankie schließen sie einander nicht aus, „alles, was ich tue“, sagt sie, „bringt mich weiter; ich will niemals aufhören zu lernen“. Darum war ihr auch die Tätigkeit bei Keøma so wichtig, schließlich war sie die Songs nicht nur als Komponistin beteiligt, sondern hat sie auch aufgenommen und produziert; sie hat mit Synthesizern gearbeitet und mit der Ableton Software, mit der Techno-DJs ihre Tracks produzieren; die Kat Frankie von heute ist so autonom, wie eine Musikerin überhaupt sein kann; jeden Schritt des künstlerischen Prozesses beherrscht sie lässig und virtuos.

„Bad Behaviour“ heißt ihr neues Album, das im Februar 2018 erscheint; man kann darauf sämtliche Qualitäten ihrer Musik wiederfinden.

Und merkt doch zugleich, wie Kat Frankie erneut einen Schritt weitergegangen ist: So furchtlos hat sie die „dunklen“ und die „hellen“ Seiten ihrer Musik noch niemals ineinander verspiegelt; so viele Überraschungen gab es bei ihr noch nie zu hören.

„Ich wollte nicht mehr melancholisch sein, nicht im Geringsten: Diese neue Platte ist für mich eine Platte der Freude, ich wollte ein bisschen obnoxious sein … dafür gibt es irgendwie kein gutes deutsches Wort…“ Vielleicht könnte man sagen: Sie hat getan was sie tun wollte, ohne Rücksicht auf irgendwelche Erwartungen. Und man freut sich an jeder Stelle darüber und kommt aus dem Staunen gar nicht mehr heraus: Huch, was ist denn das für ein Rhythmus? Wo kommt dieses irre Power Riff her? Was tuten die Bläser da? Wieso moduliert sie die Tonhöhe ihres Gesangs derart, dass sie wie James Blake als Dragqueen klingt? („Ich mochte das Timbre“, sagt sie darauf schlicht.) Und diesen strahlenden kalifornischen Hippie-Chor, der da im Hintergrund jubiliert – hat sie den wirklich ganz allein mit eingesungen?

Hat sie, denn Kat Frankie kann alles, was man können muss, um Hörerinnen und Hörer zu fesseln – und sie kann und will noch viel mehr. Zum Beispiel: sich öffnen und sich in ein neues Verhältnis zu ihren Songs setzen. „Bad Behaviour“ ist nämlich nicht nur kunstvoll, sondern auch höchst intim: So nah wie in diesen neuen Liedern sind wir der Künstlerin noch nie gekommen; es geht um die Liebe und um das Leiden an ihr, vor allem aber um die Freude am Lieben. Und nicht zuletzt geht es um Sex: „Ich hab noch nie ein Album gemacht, dass so voller Sex war wie dieses“, sagt Kat Frankie.

Immer jedoch findet sich in den Bildern der Zweisamkeit, in der Sounds der Romantik und in den Introspektionen Kat Frankies auch ein Blick nach außen, auf die Welt im Ganzen; auf jenes Politische, das sich allein im Privaten zeigt. „Bad Behaviour“ ist ein großes, Grenzen sprengendes Werk; ein Höhepunkt im Schaffen einer außergewöhnlichen Künstlerin; ein Album, das uns noch lange beschäftigen wird.

Jens Balzer