Blond - Perlen

Blond - Perlen

Der Sachsenschatz ist endlich wieder da. Und damit sind nicht etwa die protzigen Kronjuwelen aus dem Grünen Gewölbe gemeint, sondern die „Perlen“, die Blond auf ihrem zweiten Album glänzen lassen.

Blond, das sind Nina und Lotta Kummer sowie Johann Bonitz, und Blond haben in den letzten Jahren bewiesen, dass sich Chemnitz und Glamour nicht ausschließen müssen.

Wobei Blond eine ganz eigene Definition davon haben, was Glamour eigentlich ist, nämlich auch mal rotzig oder radikal und dabei trotzdem elegant. Die Band mischt immer wieder kleine Glassplitter unter ihren Indiepop-Glitter, weil blutige Finger und scharfe Kanten, weil kleine und große Narben eben auch zum Leben dazugehören. Auch zum Leben von weiblich gelesenen Personen, von dem die Gesellschaft nach wie vor ganz genaue Vorstellungen hat, wie es am besten sein soll. Blond aber erzählen, wie es auch sein kann: hübsch rosa und gleichzeitig wütend, trotzig und gleichzeitig glitzernd, zum Mitgrölen und Mitheulen, zum Zweifeln und Tanzen.
Das Debütalbum „Martini Sprite“ erschien Anfang 2020 und servierte den blondspezifischen Chemnitzer „Las Vegas Glamour“ als erfrischendes Trendgetränk, geschüttelt und gerührt. Das war kurz vor der Pandemie, danach war alles schwierig. Die Band konnte zwar vor und nach den Lockdowns zwei restlos ausverkaufte Touren spielen, trotzdem mussten immer wieder Konzerte abgesagt oder verschoben werden. Aber Blond haben die Zeit auch genutzt: ihr eigenes Label „Betonklunker“ gegründet, für das Thema sexualisierte Gewalt sensibilisiert, den Podcast „Da muss man dabei gewesen sein ins Leben gerufen, live gespielt, wo es nur ging, und vor allem haben sie neue Musik gemacht. Das Nachfolger-Album legt sich den Chemnitzer Las Vegas Glamour nun als edlen Schmuck an. 12 Songs, oder besser Perlen, haben die drei Chemnitzer:innen dafür aneinander gefädelt.

Gleich die Erste ist eine Ode an die Popheldinnen, die im positiven Sinne Schuld daran sind, dass Blond heute ihr bestes brotloses Künstler:innen-Life leben. Die Boybands von damals waren zwar ganz süß, aber die (wenigen) Frauen auf der Bühne richtige Vorbilder. Mittlerweile stehen Blond auch auf diesen Bühnen, schlagen sich irgendwie durch, sammeln Auftritte wie andere NFTs: „Wären Festivalbändchen so kostbar wie Juwelen, könnt ich zwischen Prada und Dior-Handtaschen wählen“.Zwischendrin heizen sie Durch die Nacht, von Gig zu Gig, pumpen LaFee und Wir sind Helden – und auch wenn es damit nicht mal für einen Soda Stream reicht, eigentlich ist alles ziemlich geil. Wären da nicht, genau: Männer. Gemeinsam mit der Berliner Battle-Rapperin addeN tanzen Blond genervt im ewigen Männerregen, denn Männer sind überall, und sie sind da gefühlt in schieren Massen: Sie böllern und bomben und prügeln, sie sie nerven mit stundenlangen Gitarren-Soli und erklären uns ungefragt die Welt. Vor allem manspreaden sie immer noch derart breitbeinig auf den Festival-Bühnen dieses Landes, dass kaum Platz für andere bleibt: „Das Line-Up wird länger und länger und länger, mehr Platz für noch mehr Männer“.

Im Club und im Internet ist das auch nicht besser, immer wieder regnet es hier Dickpicks oder andere sexuelle Übergriffe. Du und Ich schmiedet einen perfiden Rache-Plan: Der übergriffige Übeltäter wird einfach an die Ewigkeit festgenagelt. „Du und ich für immer, ich lass dich nie mehr los, ein Haus, ein Hund und Kinder, du und ich bis in den Tod“, ist kein romantisches Versprechen, sondern eine Drohung. Überhaupt toxische Typen – von Britney Spears noch halb glorifiziert, sagen Blond im Song toxic endlich „bye zu toxic guys“. Die bewiesene Überflüssigkeit giftiger Vibes untermauern sie extrem anschaulich mit einem fast-wissenschaftlichen Pop-Referat über parasitäre biologische Beziehungen.

Die Perlen der Band schimmern auch auf diesem Album wieder in melancholischen Schattierungen. In Sims 3 geht es um, na ja, die große Simskrise, denn die ist im Videospiel auch nicht viel anders als im echten Leben. Der Sim ist ein Loser, er hat sein Leben nicht im Griff, ist überfordert und einsam, der Bedürfnis-Balken über seinem Kopf ist längst dunkelrot. Auch wenn die notwendigen Bedürfnisse gerade so erfüllt sind, bleibt irgendwie immer das Gefühl, nichts so richtig im Griff zu haben: „Mein Sim lernt jetzt zu kochen, ich vergess' zu essen“. Und so taumelt die Spielfigur so orientierungslos durch die Simulation wie seine Erschaffer:innen durchs Leben. immer lustig skizziert die traurigen, leisen Zwischentöne im lauten Tour-und Popstar-Leben, in das Melancholie und Einsamkeit nur schlecht zu passen scheinen. Ausgelassen im Mittelpunkt auf allen Partys, allein und traurig zuhause, die Fröhlichkeit nur als Fassade, von der der emotionale Putz längst leise abbröckelt.

In Ich sage ja singen Blond zusammen mit der Chemnitzer Indie-Band Power Plush darüber, wie weiblich gelesene Personen sein sollen, nämlich immer lieb, nie zu wütend, immer artig, nett und angemessen leise, nie zu laut, zu polemisch oder zu radikal. Und weil sich nichts im Leben ausschließen muss, hört man ausgerechnet auf diesem Song die liebenswertesten Harmonien der deutschsprachigen Indie-Geschichte.

Doch auf „Perlen“ wird natürlich auch wieder brutal geflext, denn was willst du tun, wenn Blond oben ohne in die Schlägerei, die Fleischerei oder bei dir zuhause reinsteppen? Ja, „hol doch die Polizei“. Blond lassen die Rap-Muskeln spielen, natürlich oberkörperfrei, wie man das eben so macht als ordentlicher Aggro-Macker. Und wenn wir gerade wieder beim leidigen Thema Männer sind: Manchmal sind diese auch richtig super, können gut zuhören und bieten statt stundenlangem Mansplaining derart wertvollen Support, dass man direkt bisschen verliebt ist. Im allerbesten Fall sind sie dabei ganz zufällig noch dein Therapeut – oder wie die Band sagen würde: mein boy. Und manchmal hören sie auch heimlich Blond, die Thorstens, die toxischen Typen, die Festivalbooker und die harten Rockmusikmacker, die Pop gerne als mindere „Mädchenmusik“ abtun, aber tief im Herzen Menstruationssongs mitgrölen wollen. Blond sagen: Das ist okay. Du kannst ruhig dazu stehen. Du musst dich nicht schämen.

Recht haben sie: Dieses Album ist voller dunkel Indie-Pop-Perlen, die zwischen Wut und Weltschmerz, Tanzfläche und Taschentuch changieren, die ordentlich Druck machen, aber eben auch Mut. Die manchmal in Hyper-Pop, Rap oder feinen New Wave Tönen schimmern und immer mit undwiderstehlich catchy Chören verziert sind. Die man Perlen nennen kann oder Banger oder Hits oder Bretter. Am Ende kann es jedenfalls nur eine einzige Erkenntnis geben: Es ist schön, es ist toll, Blondinator zu sein.