Unser Statement zum zweiten Lockdown

Unser Statement zum zweiten Lockdown

Kultur IST Wirtschaft IST systemrelevant IST Teil einer funktionierenden und vitalen Gesellschaft!

Eines vorweg: Wir unterstützen aus voller Überzeugung und sehr konsequent alle Maßnahmen, die dazu dienen, das Infektionsgeschehen einzudämmen und die Gesundheit von Menschen zu schützen. Und möchten Frau Merkel auf keinen Fall persönlich angreifen, da wir ihre Haltung (aber sicherlich nicht alle Entscheidungen) in dieser mit nichts zu vergleichenden Krisensituation in vielen Momenten bisher sehr gut fanden.

ABER: Bei der Lektüre einer von uns sehr geschätzten Nachrichtenquelle über das, was das Kanzleramt für die Sitzung der Ministerpräsident*innen vorschlägt, verschlägt es uns wirklich die Sprache. Verkürzt lesen wir hier raus: Kultur, Veranstaltungen und gastronomische Betriebe sollen umgehend schließen, damit "die Wirtschaft" weiterlaufen kann.

Wir SIND Wirtschaft. Je nach Zählung ist der Kreativ- und
Veranstaltungswirtschaftssektor unter den Top 5 / Top 6 der Jobmärkte in Deutschland mit weit über 1,5 Millionen Beschäftigten, über 60.000 Unternehmen und über 200 Milliarden Euro jährlichem Umsatz. Und wir können aus eigener Erfahrung mit diversen pandemiegerechten (Groß-)Veranstaltungen berichten, dass die Mühe und professionelle Aufmerksamkeit für die Beachtung aller Hygienerahmenbedingungen in unserem Bereich sehr groß geschrieben wird.

Viele sind sogar bereit, unentgeltlich oder unter der Einberechnung von Verlusten Veranstaltungen durchzuführen, um zu zeigen, dass es geht und, dass wir alle dringend Signale dafür brauchen, dass es mit unserer Profession (die zugleich unsere Leidenschaft ist - und ein begehrtes Gut bei Millionen von Menschen) weitergeht. Wir WOLLEN arbeiten. Wir möchten nicht untätig in einer Bittsteller*innen-Position verharren und auf staatliche Unterstützungen hoffen müssen.

Mit einer grundsätzlichen und pauschalisierenden Verbotspolitik von "Veranstaltungen" im Allgemeinen oder gar von "Kultur" erreicht man aus unserer Sicht keine wesentliche Minderung der Ansteckungszahlen, sondern erhöht deutlich das Frustrations Potential. Insbesondere dann, wenn mit einer solchen Verbotsdrohung keinerlei Ankündigung über wirtschaftliche Abfederung der dadurch entstehenden, existenzbedrohenden oder -vernichtenden Situation einhergeht. Die bisherigen Überbrückungshilfen des Bundes funktionieren für ganz viele Unternehmer*innen leider nicht und werden deshalb längst nicht im zur Verfügung gestellten Maß abgerufen.

Wenn es darum geht, Menschenleben zu retten, Klinikpersonal vor dem Burnout zu bewahren, das Gesundheitssystem am Laufen zu halten, ist das verständlich. Wenn es darum gehen sollte - wie es Christian Drosten sagte - den vorweihnachtlichen Konsum und Reiseverkehr zu sichern, dann kommen wir in einen sehr fragwürdigen Bereich. Again: Wir unterstützen alle Maßnahmen, die Leben retten, Menschen schützen und unser demokratisches Wertesystem sichern, aber merken leider auch deutlich, dass ein ganzer Wirtschaftszweig seinem Ende entgegenblickt, nachdem wir seit sieben Monaten nicht mehr das tun können, womit wir unser Geld verdienen. Sieben Monate lang haben wir uns mit grundsätzlich positiver und kooperativer Grundhaltung in die Notwendigkeiten gefügt. Es wurden Wege gefunden, um unter größten Mühen und Auflagen Veranstaltungen durchzuführen, den Mitarbeitenden Aufträge und die damit verbundene Hoffnung zu geben und den Menschen die dringend notwendige kulturelle Grundnahrung oder auch nur Ablenkung.

Kultur ist systemrelevant für ein freiheitlich-demokratisches Werte- und Gesellschaftssystem. Denn es trägt ebenso zur Meinungsbildung und Horizonterweiterung bei, wie Demonstrationen, Medien oder der parlamentarische Betrieb. Kultur ist Wirtschaft - nicht irgendetwas Erheiternd-Luxuriöses, was man in Ausnahmesituationen goutiert, wenn alles andere erledigt ist. Für die Zeit nach dem November fordern wir die Möglichkeit einer kulturellen Grundversorgung und die Erlaubnis pandemiegerechter Großveranstaltungen!

Der Vorstand des Vereins zur Förderung der Popkultur e.V.

Im Artikel wird Bezug genommen auf einen Artikel aus “Der Tagesspiegel” vom 28.10.2020